Frankfurter Allgemeine Heft 17 / Juni 1980 - Töpfe & Blumen
Titelbild: Töpfe & Blumen: Des Sommers ungemischte Freude wird uns im Irdenen zuteil
Original Inhaltsbeschreibung:
- Über Leute
- Unter den Nervenschwachen der stärkste: Großmeister Roswin Finkenzeller Robert Hübner Fotos Susanne Esche
- Des Sommers ganze Fülle: Töpfe und Blumen Udo Pini, Fotos Ursel Borstel
- Vom Genießen: Londoner Pubs Hans-Joachim Rudolph, Illustration Hans Hilimann
- Pariser Augenblicke: Drei Sekunden Ewigkeit Volker Hage, Fotos Robert Doisneau
- Fragebogen: Alfred Grosser
- Cartoon: ABC-Geschichten Hans Hillmann
- Kalender der Woche
- Schach Roswin Finkenzeller
- Matchbox: Worum geht's?
- Matchbox: Kreuzwort, Ortstermin, Streichholzspiel
- Titel Ursel Borstel
Gelobt sei das Islandtief oder der heilige Georg und die Golubatzer Mücke
„Wenn man ihnen eine Blume zeigt”, notiert Goethe über eine gewisse Sorte von Mitmenschen ärgerlich, „so fragen sie gleich: Riecht sie? Kann man Tee davon trinken? Dürfen wir es nachmachen?" Was dies blumenreiche Magazin angeht, so hat es sein Aroma durchaus, wenn es auch nicht jedem schmecken will, nicht mal jetzt, wo es gerade Sommer geworden ist. Man muß freilich den rechten Rüssel haben. „Sie sind voll Honig, die Blumen; / Aber die Biene nur findet die Süßigkeit aus." Also Biene sein, nicht gleich die Mücke machen. Sonst müssen wir ein drittes Mal bei Goethen saugen: „Seit einigen Tagen / Machst du mir ein bös Gesicht. / Du denkst wohl, ich soll fragen, / Welche Mücke dich sticht." Ja, welche? Mehrere zehntausend Mückenarten soll es geben. Diese Heerschar wieder zu Milliarden je über einem einzigen Teich, über der einen Lichtung, wo wir, zum Blumenpflücken, uns niedergelassen. Dazu dies Wahrwort aus Weimar: „Einzeln stechen auch die Mücken, / Braucht nicht gleich ein ganzes Heer."
Am Ende war es vielleicht eine Riege, die stach, eine Bremse zum Beispiel. Die Insektenforscher mögen die ihnen bekannten achtzigtausend Zweiflügler säuberlich unterscheiden in Nematocera, Mücken, und Brachycera, Fliegen. Im Süddeutschen aber ist eine Fliege allemal eine Mücke. Und wer weiß denn, ob die Stubenfliege hier nicht die Fenstermücke dort ist?
Eine Spur ernster gefragt: Ob wohl jene Schnakenobmänner, die im Hessischen Ried Brutplätze kartieren, Larven beobachten, Brutzeiten berechnen und schließlich, vergebens bisher, die chemische Keule schwingen — ob sie je einen Sieg im Schnakenkrieg erringen?
Noch ernster: Wollen wir uns länger versündigen, indem wir die (angeblich) naßkalten deutschen Sommer beklagen? Wollen wir es wirklich wärmer, also mückenreicher, also das Sirren in der Nacht und das Nachzählen der juckenden Stiche am Morgen? Oder Schlimmeres: Meyers Konversationslexikon berichtet in einer älteren Ausgabe über die Golubatzer Mücke, „welche in den unteren Donaugegenden die Viehherden überfällt und oft die kräftigsten Tiere dergestalt plagt, daß sich dieselben in wahrer Tollwut zu Tode hetzen ... Das Volk glaubt, sie (die Mücken) kämen aus einer Höhle bei dem Dorfe Golubatz, wo St. Georg den Lindwurm erschlug."
Wir glauben, über die Golubat-zer Legenden lächeln zu müssen. Wer aber lachte, als im vorigen Jahr nach einer Schönwetterperiode im seriösen Teil dieser Zeitung verschiedene Male von der Kriebelmücke zu lesen war, einer Enkelin jener Golubatzer Lindwurmhöhlenmücke, die in den Rheinlanden bei Jülich unversehens in Schwärmen erschienen war und nicht nur Spaziergängern so zugesetzt hat, daß sie vom Notarzt behandelt werden mußten, sondern auch einige Dutzend Rinder zu Tode gestochen hat?
Hören wir nun, daß es nur die Weibchen sind, die blutsaugerisch, ja todbringend stechen, erstirbt uns das Lachen ganz.
Johannes Roth
Heft Nr. 17 / vom 27 Juni 1980
Seitenanzahl: 31 Seite
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