Frankfurter Allgemeine Heft 20 / Juli 1980 - L Opera Grande
Titelbild: Verona im Regen. Nichts hat die romantische stadt von Romeo und Julia in diesen Wochen mehr zu fürchten als abendliche Wolkenbrüche. Dann nämlich fällt das größte Musik Spektakel der Welt ins Wasser. L Opera Grande in der alten Arena
Original Inhaltsbeschreibung:
- Über Leute
- Fragebogen: Karlheinz Stockhausen
- Bringt die Kugel ins Rollen: Croupier in Baden-Baden Volker Hage Illustrationen Heinz Edelmann
- Verona: Große Oper im Oval Peter Wapnewski, Fotos Andre Reiser
- Und diese Tiere kann man essen? Eine kleine Schneckologie Horst-Dieter Ebert Foto Klaus Bossemeyer
- Kalender der Woche
- Garten: Rot auf grüner Woge Nikolas Benckiser
- Schach Roswin Finkenzeller
- Matchbox: Worum geht's? Gurkenstein
- Matchbox: Kreuzwort, Ortstermin, Streichholzspiel
- Titel
Das Haus auf der Kriechspur
Im Norden der Republik haben die Ferien begonnen. Größere Verkehrsstauungen werden an diesem Wochenende erwartet für die Autobahnen um Hamburg, Bremen und Hannover, im Ruhr- und Rhein-Main-Gebiet, in Oberhessen und Unterfranken, zwischen Mannheim und Stuttgart sowie in und um München. Die mobile Gesellschaft ist wieder einmal auf der Kriechspur, „Schnekkentempo“ heißt die Parole der Polizei. Übernachtungen am Wege sind im Fahrpreis inbegriffen; wohl dem, der sein Haus dabei hat.
Leichtsinnigerweise sind die Nacktschnecken unter den Urlaubern freilich immer noch in der Überzahl. Nicht einmal eine halbe Million amtlich registrierter Caravans gibt es im freien Reisewesten Deutschlands; erst vierhunderttausend Familienväter wissen, was den umsichtigen Bauchfüßer auszeichnet: das Ziel in weiter Ferne, aber das sichere Quartier beruhigend im Rücken. So läßt sich gut auf Wanderschaft gehen, das Abenteuer entbehrt nicht der Bequemlichkeit, der geregelte Rückzug ins eigene Heim kann jederzeit stattfinden.
Wer so zur Schnecke geworden ist, hat seine Fühler leicht ausstrecken. Unabhängig von verspäteten Flugzeugen und überpünktlichen Eisenbahnen, ohne Überholstreß auf der Straße, frei von Koffern wie von der Angst, kein Bett mehr zu bekommen oder keine Speise, zieht der Wohnmobilist ruhig seine vorbestimmte Bahn. Kampf ist ihm fremd, der Friede der Hütten rollt sichtbar mit ihm. Allen Unbilden des Fahrtages trotzt er lächelnd mit Goethes Dämmerungs-Weisheit: „Am Abend schätzt man erst das Haus.“ Was verschlägt es, daß natürlich nicht Faust diesen Spruch tut, sondern der biedere Famulus Wagner?
Mobilität heißt für die moderne Reiseschnecke vor allem: Anpassungsfähigkeit. Der Häuslecamper ist kein Revolutionär; er liebt die alte Ordnung mindestens ebenso wie die neue Freiheit. Das Paragraphenwäldchen rund um seinen Ferien-Abstellplatz sichert ihm nur Ruhe, wenn er selbst ruhig bleibt. Ein Schnecken-Schicksal. Der Blick zum Himmel ist erlaubt, aber man kann sich keine Sterne holen — höchstens das Rheuma. Glücklicherweise hat die Volksmedizin hier ein Mittel parat, das aus einer Zeit stammt, in der der Gastropoden-Tourismus unter Menschen noch nicht zu beobachten war: Gegen Gicht und Rheumatismus legt man zerquetschte Schnecken auf.
Siegfried Diehl
Heft Nr. 20 / vom 18 Juli 1980
Seitenanzahl: 31 Seite
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