Frankfurter Allgemeine Heft 27 / September 1980 - Gotthard
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Frankfurter Allgemeine Heft 27 / September 1980 - Gotthard

Titelbild: Louis-Philippe, begehrt Einlaß im Gotthard-Hospiz: Damals, im Jahre 1793, war eine Reise über die Alpen noch ein Abenteuer. Von heute an ist der Weg ins Tessin noch bequemer, als er es für geworden war: Der neue Gotthard-Tunnel führt in fünfzehn Minuten unter dem Berg hindurch

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Original Inhaltsbeschreibung:

  • Über Leute
  • Groß in Mode: Jil Sander Paul Lampe, Fotos Andrej Reiser
  • Krumme Tour durch den Berg: Rolf Heggen
  • Der Gotthard Tunnel Fotos Thomas Mayer
  • Versuch über das Komische Clowns Bernhard Heimrich, Illustrationen John Collier, Bernhard Bonhomme, Clowns Seymour Chwast, Emanuel Schongut, Elwood
  • Kalender der Woche
  • Cartoon: ABC-Geschichten Hans Hillmann
  • Vom Genießen: Zu Lipp der Gäste wegen Thankmar von Münchhausen, Illustration Hans Hillmann
  • Fragebogen: Johannes Gross
  • Schach Roswin Finkenzeller
  • Matchbox: Worum geht's ?
  • Matchbox: Kreuzwort, Ortstermin, Streichholzspiel
  • Titel

Lange Fädchen, faules Mädchen

Am Stoff, aus dem die Säume sind, liegt es selten. Zwar fällt auch dem ungeschulten Auge auf, daß Jersey oder Jacquard anders fallen als Kammgarn und Kamelhaar. In der Regel jedoch ist es der Schnitt, der ein Kleidungsstück dem Durchschnitt enthebt. Und diese Regel, eine goldene, lautet also: Nur wer einen guten Schnitt zu machen weiß, macht als Modeschöpfer seinen Schnitt. Unter den Mustern strenge Musterung zu halten, empfiehlt sich allerdings ebenfalls für jeden, der beim Schneidern nicht aus dem Hahnentritt geraten will. Und noch ein schnittiger Ratschlag, ungesäumt dem Nähkästchen entnommen: Es ist gut, den Schnitt an fremdem Tuch zu lernen. Papier, auf dem die Großmutter mit Zack ihre Schnittmusterbogenbögen drehte, tut’s natürlich auch. Genug gestichelt. Sich über die Mode zu pikieren, wird rasch selbst zur Mode. Und dann ist jeder in dieser Kunst, sich nach Vorschrift zu verstellen, doch wieder Kenner und Genießer. Denn obwohl weiblichen Geschlechts, läßt die Mode ihre Launen und Kapriolen inzwischen an Männlein und Weiblein aus — und alle lassen es sich willig gefallen. Oder doch nicht so willig? Man dürfe anders denken als die Zeit, aber sich niemals anders kleiden, setzt Marie von Ebner-Eschenbach zwischen sich und die übrigen eine scharfe Trennaht der Erkenntnis. Und unter Naht, in diesem Zusammenhang durchdrükkend nachzufühlen, verstand früherer Sprachgebrauch zugleich Prügel. Da ist uns, um beim früheren Nähen zu bleiben, das Spruchgut der schon vorgestellten Großmutter doch lieber, etwa der Schluß vom langen Fädchen aufs faule Mädchen.

Über Fadenlängen ist im Fall der Hamburgerin Jil Sander nichts bekannt, aber so groß in Mode wie sie kommt und ist man nur mit Fleiß. Fleiß im Sinne von Eifer wie von Absicht. Ohne weitere Umschweife nun Rousseau zu zitieren, könnte als unverschämt empfunden werden. Wir tun es trotzdem, weil Rousseau seine Rüge verdient hat. „Fast immer“, raunzte er nämlich, „werden die Moden von den häßlichen Frauenzimmern aufgebracht, und die hübschen sind töricht genug, sich unterzuordnen.“ Solcher Sarkasmus geht über die gewisse Grenze. Dieser Rousseau hätte das nicht dürfen. Er war kein Zöllner.

Hans-Dieter Seidel

Heft Nr. 27 / vom 5 September 1980

Seitenanzahl: 38 Seite

FAM-DE.1980.nr.27

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