Frankfurter Allgemeine Heft 52 / Februar 1981 - Bacchantin
Titelbild: Berauschte Zeit: eine Bacchantin aus dem Skizzenbuch des Malers Leon Bakst. Mit Kostümzauber, prunkendem Dekor und wirbelnder Phantasie brachte er für die berühmten Ballets russes den Jugendstil in Bewegung
Original Inhaltsbeschreibung:
- Über Leute
- Inszenierte Geselligkeit: Gabriele Henkel und ihr Salon Rolf Vollmann / Fotos Snowdon
- Zweite Fortsetzung des Tagebuchs Johannes Gross, Zeichnung Arnold Schwartzman
- Bayern in Anführungszeichen: das Münchner Platzt Roswin Finkenzeller / Zeichnungen Axel Camici
- Im Wirbel der Kostümphantasien: Uon Bakst Andreas Graf Razumovsky
- Kalender der Woche
- Fragebogen: Ralf Dahrendorf
- Schach Roswin Finkenzeller
- Matchbox: Worum geht's? Gurkenstein
- Matchbox: Kreuzwort, Ortstermin, Streichholzspiel
Vom Geschmack versehentlich verwendeten Natrons
Süddeutsche Herzen müssen höher schlagen, bis Gaumenhöhe etwa, beim Anblick dieses wohlgeformten Stücks Backglück, das hier als Platzhalter liegt für das Münchner Platzl. Die Brezn, Einzahl, aber weit mehr die Brezen, Mehrzahl, gehören im Bayrischen wie die Laugenbrezeln im Schwäbischen zu den Grunddelikatessen. Doch dann beginnen schon die Unterschiede. Die Laugenbrezel ist etwas größer und weniger gleichmäßig geschlungen als ihre bayrische Verwandte. Lockerer im Teig und nicht so scharf gebakken, ist sie - frisch und mit Butter bestrichen - eine noch aufregendere Verlockung für die Geschmacksnerven, wird allerdings auch rascher als die Brezn zäh und ein bißchen schwammig, wenn die Erinnerung des Teigs an den Backofen sich erst verflüchtigt hat. Wer also anbeißt, ohne gleich reinzubeißen, ist auf die Dauer in Bayern besser dran, wo der resche Charakter der Brezn dafür sorgt, daß sie innen schön weich und gaumenschmeichelnd bleibt. Plastisch geformtes Brot, wie heidnisch sein Ursprung auch sein mag, hatte bald vor allem sasolches Kultgebäck ist die doppelt verschlungene Brezel mit etwa tausend Jahren eine der ältesten Formen, vielleicht einst ein Symbol für den Sonnenzyklus. Noch von 1256 ist ein besonderes Verhältnis zur Brezel überliefert, das an kultische Verehrung gemahnt: In Landshut. verordneten die Stadtväter, daß ein Bäcker, der seine Brezen nicht aus feinstem weißem Mehl herstellte, streng bestraft werden sollte. Andererseits vermelden alte Chroniken, daß in Notzeiten das offenbar aufwendige Brezelbacken sogar verboten worden sei. Die Münchner Laugenbrezn, so will es zumindest die Legende, soll Ende des achtzehnten Jahrhunderts und bloß aus Versehen erfunden worden sein. Ein schusseliger Bäckermeister hatte seine Brezen vor dem Backen statt in heißes Wasser in eine Natronlauge getaucht, die fürs Reinigen der Backstube vorbereitet dastand. Probiert muß er der Anekdote zuliebe dann trotzdem und das Wagnis zum Wohlgefallen aller künftigen Generationen von Brotzeitmachern auch überlebt haben. Heutzutage enthält die kochende, ein- bis dreiprozentige Lauge für Brezen außer Natron und Wasser noch ein Malzpräparat sowie Salz. Aber so genau wollen wir Breznliebhaber es eigentlich gar nicht wissen; NaOH und die Chemie sind das eine, unsere Brezen sind das andere. Und das sollen sie auch bleiben.
Hans-Dieter Seidel
Heft Nr. 52 / vom 27 Februar 1981
Seitenanzahl: 31 Seite
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