Frankfurter Allgemeine Heft 53 / März 1981 - Otto Dix
Titelbild: Im Rhythmus der zwanziger Jahre: Auch wenn der Maler Otto Dix es nicht ins Zentrum rückt —das Saxophon vor allem ist es, das auf der Mitteltafel seines Großstadt Triptychons die Hitze der Vergnügungssüchtigen anfacht.
Original Inhaltsbeschreibung:
- Über Leute
- Der lachende Philosoph: Karl Popper Hilde Spiel, Fotos Andrej Reiser
- Wo das Meer unter dem Teppich murmelt: Hausboote in Sausalito Michael Zeller Fotos Calle Hesslefors
- Hochstapler mit großen Klappen: Saxophone Wolfgang Sandner Fotos Stefan Bruch
- Waren-Welt: Neo-Nippes Horst-Dieter Ebert
- Kalender der Woche
- Fragebogen: Dietrich Fischer-Dieskau
- Schach Roswin Finkenzeller
- Matchbox: Worum geht's?
- Matchbox: Kreuzwort, Ortstermin, Streichholzspiel
Sax Appeal oder Ein Gitarrist hat nichts zum Küssen
Was braucht ein guter Saxophonspieler außer dem Instrumentenkoffer, dem Mundstück, dem Blattschneider, dem Wischer, dem Schraubenzieher und der Flachzange, außer Hirschtalg, Spezialöl, Kreide und Klebstoff für die Klappen, außer dem kleinen Taschenmesser, der Nagelschere für die Blätter, Gummiringen, Ersatzpolstern und Ersatzfedern?
Die Spötter sagen: noch einen Flaschenöffner; die Kenner: das Wohlwollen der Zuhörer. Denn selten hat es ein Instrument so schwer gehabt, zu Ehren und einem gut klingenden Image zu kommen. Verwies ein Saxophonist auf die Tradition seiner konischen Messingröhren in der Militärmusik, für die es Monsieur Sax ursprünglich erfunden hatte, dann hatte der Fan schon verspielt. Verwies er auf zeitgenössische Orchestermusik, hatte er ebenfalls vergeigt, und wenn er zehnmal beteuerte, die Klarinette hätte immerhin das gleiche Mundstück wie sein Sopran-, Alt-, Tenor oder Baritonsaxophon.
Das stimmt zwar, aber dennoch klingt die „Näseltute“ ganz anders: schräger allemal, lebendiger sicher und meistens auch frecher. Kaum ein Musikclown, der nicht auf Saxens Erfindung zum Stimmenimitator wurde. Kein Wunder auch, daß der Jazz erst aus dem Kunstinstrument Sax-o-phon ein kunstvolles „Jazzophon“ machte, wie amerikanische „Saxperts“ ihr „Liphorn“ gern nannten. Lange, bevor es in Deutschland unter Teenagern rühmlich wurde, eine „scharfe, schräge Kanne blasen“ zu können, versuchten Musiker im swingenden Amerika, sich den Ehrenititel „hot sax“ zu erspielen.
Und so ganz hat das Saxophon, von dem 1930 weltweit eine Million Instrumente hergestellt wurden, 820000 davon allein in den USA, den Ruch des amerikanischen Milieus jener Zeit nicht loswerden können. in den Kaffeehäusern der Zwischenkriegszeit hat es damit immerhin den scheinbar unsterblichen Wiener Stehgeiger von der Tanzfläche geblasen. Otto Dix und der Hefttitel seien Zeugen. Das ging ja sogar so weit, daß Hermann Hesse seinen unglücklichen „Steppenwolf“ Harry Haller, den trübsinnigen Aussteiger, am sinnenfrohen Wesen des auch noch farbigen Saxophonbläsers Pablo genesen ließ!
Doch als dann die Rassereinheit sich in Deutschland auch auf die Orchesterinstrumente erstreck-te, ging es bergab mit den „Gießkannen“, die gerade einen guten Klang, aber einen verluderten Ruf hatten.
Inzwischen hat das „Jazzophon“, Sax sei Dank, mehrere Stilepochen der „Negermusik“ phantasievoll begleitet und auch noch den Rock ’n’ Roll überlebt, der es nicht brauchte. Erst seit die allzu perfekten Gitarren mit ihren angeschlossenen elektronischen Trickkisten, und erst seit der allzu perfekte Alleskönner Synthesizer die Platten bis zum Überdruß mit Technopop füllen, erlebt das Saxophon sein Come-back: Es klingt wärmer und läßt noch menschlichen Atem spüren. Der intelligente Rock hat den Sax-Appeal wiederentdeckt.
So meinte es auch ein Gitarrist, der gerade auf Tenor-Saxophon umstieg: „Ich möchte mal ein Instrument spielen, das ich küssen kann
Udo Pini
Heft Nr. 53 / vom 6 März 1981
Seitenanzahl: 39 Seiten
Eigenschaften von diesem Artikel
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