Frankfurter Allgemeine Heft 56 / März 1981 - Jim Buhalis
Titelbild: Jim Buhalis lebt in Kalifornien, ein nachgeborener Doppelgänger. Paul Gauguin wie aus dem Gesicht geschnitten. Der Kunststudent
Original Inhaltsbeschreibung:
- Über Leute
- Vierte Fortsetzung des Notizbuchs Johannes Gross, Zeichnung Arnold Schwartzman
- Direktor und Dirigent: James Levine Wolfgang Sandner, Fotos Calle Hesslefors
- Tag und Traum in Tokio Rene Wagner, Fotos Rene Burri
- Fragebogen: Hans Rosenthal
- Wie das Leben die Kunst Johannes Roth
- imitiert: Doppelgänger Fotos Nancy Webber
- Kalender der Woche
- Schach Roswin Finkenzeller
- Matchbox: Worum geht's? Gurkenstein
- Matchbox: Kreuzwort, Ortstermin, Streichholzspiel
- Titel
Zwei Seelen, ach, oder Die Doppelgänger sind unter uns
Zwei Seelen wohnen, allerwenigstens, in unserer Brust. Manche merken es beim Karneval. Andere spüren es fast jeden Tag: als potentielle Jumbo-Insassen beim Demonstrieren gegen den Flughafen-Ausbau, als Umweltschützer beim Kampf gegen die umweltfreundliche Energie, als Lebenskünstler bei der Forderung nach der besseren Arbeitsmoral. Das sind so unsere gewöhnlichen Schizophrenien. Diesen und jenen bringt seine Position in der häuslichen oder beruflichen Hierarchie in die Verlegenheit, daß er nicht durchweg den Spießer spielen darf, der er ist, sondern zur Abwehr konkurrierenden Ansinnens flugs die Rolle des advocatus diaboli übernehmen muß. Das sind dann die nicht mehr so gewöhnlichen Schizophrenien. Harmlose Erlebnisse, vergleichsweise. Ärgerlicher ist die Erfahrung, die der macht, der sich von einem ureigenen Gedanken angerührt glaubte und erkennen muß: alles längst schon gedacht, sogar schriftlich festgehalten. Auch über derlei Irritationen kommt der Geübte hinweg. Wirklich verstörend ist es, in ein Gemälde zu schauen wie in einen Spiegel: Der dort mit der grünen Kappe, das bin doch ich! Daß unser einer schon einmal da war mit grad der gleichen Physiognomie und allem, was dahintersteht an Phlegma und Charakterschwäche und mühsam angeeigneter Besonderheit — erschreckend! Da ist der als Typ entlarvte Antityp geradezu dankbar, wenn die Amerikanerin Nancy Webber Bilder
vorlegt, die ihm zeigen, daß es anderen nicht besser ergeht. Den Maler Peter Lodato hat sie mit der Kamera eingefangen, als habe er Modell gestanden und nicht Paul Gauguin zum „Selbstporträt für Daniel“. Wie viele Doppelgänger haben die beiden aber noch? Und wie viele wir? Es gibt gewiß angenehmere Fragen. Zum Beispiel die‘ flaue Floskel: Wie geht es Ihnen? Sie ließe sich ins Schauerliche treiben: Wie geht es Ihrem Doppelgänger”?
Johannes Roth
Heft Nr. 56 / vom 26 März 1981
Seitenanzahl: 31 Seiten
Eigenschaften von diesem Artikel
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