Frankfurter Allgemeine Magazin Heft 109 / April 1982 - Cupido
Titelbild: Galante Szene: Cupido raubt einer Schönen das Hemd. Der Maler des Bildes wurde vor zweihundertfünfzig Jahren geboren: Jean-Honore Fragonard. War er ein Liebling der Götter?
Original Inhaltsbeschreibung:
- Über Leute
- Wirbel im Wildwasser: Rolf Heggen
- Ulrike Deppe: Fotos Ralf Schultheiß
- Fragebogen: Leonie Ossowski
- Fragonard: Ein Vagabund zwischen den Stilen: Wilfried Wiegand
- Kalender der Woche
- Schach: Roswin Finkenzeller
- Matchbox: Kreuzwort, Ortstermin, Streichholzspiel
- Titel
Von Wegwerfgesellen und Flickschustern
Ist es nicht so? Etwas ist entzwei oder, schlimmer noch, entdrei oder -vier, in Stücken also, und man bittet jemanden, der sich darauf versteht, das Entzweite wieder zu vereinsen. Und was macht er, statt heil? Er macht eine typische, eine wegwerfende Handbewegung. Wieder einer, der sich zur Wegwerfgesellschaft zählt, der, weil reparieren angeblich nicht lohnt, lieber löhnt. So ein Einweg-Verstockter betritt nur ungern den anderen Weg, auf dem solche, die man schon Umkehrer nennt, ihren Erfolgserlebnissen begegnen. Der Do-it-your-Selbstbestätigung sind ja keine Grenzen gesetzt, seit jedes Kaufhaus sogar Absatzflecken und Zubehör bereithält, um aus der engagierten Hobbyecke eine kleine Flickschusterei zu machen. Und es soll auch wieder Väter geben, die ihren Kindern das letzte, total beherrsch- und zerlegbare technische Gerät, das Fahrrad, näherbringen, indem sie einen Platten hatten: Nach der Fehlersuche im Waschbecken das gekonnte Aufrauhen des Schlauches, das Auftragen der Vulkanisierlösung; das Prüfen der Trocknung mit dem kennerhaften Fingerrücken und das Andrücken des Flickens. Dann das Reifenaufziehen und zum Stoßseufzer noch ein paar Pumpstöße — fertig ist der neue alte Schlauch. So schlauchten sich einst alle Faltbootfahrer, die immer einen Reparaturset im angerosteten Blechdöschen dabei hat- - ten, so dichteten Wanderer die Gummihaut oder Landarbeiter ihre wasserziehenden Stiefel. Nichts anderes tun moderne Glasfiberboot-Fahrer nach einem Knacks mit Fertigstreifen und Zweikomponentenklebern. Ohne ihr neues Material wären die Wildwasserreiter, von denen dieses Heft berichtet, nie in die gefährlichen Strudel ihrer Leidenschaften getaucht, wo ihr Gefährt schon mal über spitze Steine stolpert. Wenn's ärger kam und der Fahrer im Krankenhaus zusammengeflickt werden mußte, dann mag so ein Zerschellter dankbar mit Luther gedacht haben, daß ein Arzt Gottes Flicker sei. Und da ein Flicken allemal größer sein muß als ein Loch, war vielleicht des einen Segen größer als des an-deren Kunst. Wer auf den nächsten Seiten sieht, wie die wildwasserwütende Natur schäumt, weil sie von einer Nußschale bezwungen werden soll, ahnt etwas von solchem Segen, an dem oft alles gelegen ist. Und von den Segnungen eines kleinen Reparatursets.
Udo Pini
Heft Nr. 109 vom 2 April 1982
Seitenanzahl: 31 Seiten
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