Frankfurter Allgemeine Magazin Heft 130 / Aug. 1982 - Ostpreußen
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Frankfurter Allgemeine Magazin Heft 130 / Aug. 1982 - Ostpreußen

Titelbild: In Ostpreußen, wie es einmal war: Szene vor dem Krug des Wallfahrtsdorfs Heiligelinde

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Original Inhaltsbeschreibung:

  • Über Leute
  • Auf der Suche nach der Nachtigall: Siegfried Diehl
  • Hanna Schygulla: Fotos Ralf Schultheiß
  • Einundvierzigste Fortsetzung des Notizbuchs: Johannes Gross
  • Bilder einer Vergangenheit: Bernhard Heimrich
  • Ostpreußen: Fotos Wilhelm Heise
  • Kalender der Woche
  • Schach: Roswin Finkenzeller
  • Fragebogen: Jürgen Roland
  • Matchbox: Kreuzwort, Ortstermin, Streichholzspiel
  • Titel

Einmachglas der Natur oder Preußisches Silber

Warum schlafen die Dänen auf den Nordseeinseln bei Westwind mit angelehnten Fensterläden rings ums Haus? Weil der auf Ost umschwenkende Wind, auf den sie hoffen, ihnen die Läden zuschlägt und ihnen damit das Zeichen gibt, selbst zuzuschlagen. Sie eilen notfalls noch mit Taschenlampe oder Sturmlaterne an den Strand, wo der Ostwind die Westwindwellen glättet, an deren Spülkante nun in Tang und Geröll Unmengen herangewühlten Bernsteins liegen und ob seines fast wassergleichen spezifischen Gewichts so anders als Steine im Wasser herumtanzen. Wer's begriffen hat, greift zu und füllt sich ein paar Marmeladen- oder auch größere Gläser mit diesen Einmachgläsern der Natur. Glesum nannten die Römer den Stein, weil die Germanen ihn glaes nannten, unser heutiges Glas. Als das Baumharz noch nicht steinhart war, sondern noch zäh, aber unaufhaltsam tertiärzeitlichen Nadelbäumen entquoll, hat es ja tröpfchenweise dafür gesorgt, daß uns ein regelrechtes Klebebild der damaligen Fauna und Flora zusammengebacken wurde. Aus den Inklusen, den Einschlüssen im Bernstein — man hat mehr als 3000 Arten von Insekten, hat Pflanzenteile, Abdrücke von Rinden und Fußspuren, sogar eine Eidechse, einen winzigen Frosch und eine sensationelle Vogelfeder im gelben Glaskäfig entdeckt —, aus all dem können Wissenschaftler haarklein herauslesen, was damals vor fünfzig Millionen Jahren im subtropischen Bernsteinwald kreuchte und nicht mehr entfleuchte, als es Harz zu regnen begann, weil Wind und Wetter, Blitze, Spechte und der Pilz Trametes pini das Nadelholz bluten ließen. Man weiß daher, daß es in Bernsteinwäldern von - Insekten nur so wimmelte, denn sie gingen am häufigsten „auf den Leim", weiß, was da alles jagte und gejagt wurde, hat Flöhe entdeckt und Läuse und allerhand andere Schmarotzer auf Pflanzen und Tieren. So wurde die Gegend von Urfennoskandia am genauesten erforscht und plastisch beschrieben, als im Ostseeraum etwa das Klima des heutigen Japan herrschte und mehrere geradezu sintfluthafte Überschwemmungen den Bernsteinwald durchspülten und alles Tropfharz dorthin spülten, wo das widerstandsfähige Gemenge aus Harz, Bernsteinsäure und Öl gut erdverpackt auf die ersten grabenden oder, wo das Meer kräftig mithalf, tauchenden und fischenden Germanen wartete. Zufällig war das Samland mit Bernstein so reich gesegnet, daß es einmal „preußisches Silber" und Ur- ,vater allen deutschen .:Handels genannt Im ostpreußischen Palmnicken konnte man den fossilen schmucken Stein sogar bergmännisch gewinnen. Heute noch rattern dort die Bagger, aber es sind russische Fabrikate. Kein Tourist kann mehr bei Neukuhren, Warnicken, Kraxtepellen ein bißchen mitgraben oder am Strand der Nehrung sandpolierte See- oder Tauchersteine auflesen. Heute müssen wir die Ferne zu jenem Land überbrücken mit Bildern wie denen des fotografierenden Malers Wilhelm Heise.

Udo Pini

Heft Nr. 130 in der 34. Woche vom 27 August 1982

Seitenanzahl: 23 Seiten

Sprache: Deutsch

FAM-DE.1982.nr.130

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