Der Spiegel Nr.20 / 8 Mai 1967 - Ende der Konfessionsschule?
Titelbild: Konflikt zwischen Staat und Kirche - Ende der Konfessionsschule?
Original Inhaltsbeschreibung:
Spiegel-Verlag/Hausmitteilung vom Datum: 8. Mai 1967 - Betr.: Enkel
Zum Ritual im Umgang mit Athenagoras I., dem Patriarchen von Konstantinopel und Oberhaupt aller orthodoxen Kirchen, gehören gleichsam als staatlich-offizieller Teil ein Standphoto unterm Bild des türkischen Staatspräsidenten Cevdet Sunay , als kirchlich-seelsorgerischer Akt zwei gewaltige Friedensküsse auf die Stirn, die schon die US-Präsidenten Roosevelt und Truman - wie berichtet wird: etwas verlegen - entgegennehmen durften. Nun sind auch SPIEGEL-Redakteur Horst Bausch, 37, und SPIEGEL-Korrespondent Kostas Tsatsaronis, 33, auf dergestalt herzliche Weise gesegnet worden, als sie den 81jährigen Primas der griechischen Orthodoxie im Arbeitszimmer seines Amtssitzes, dem Phanar in Istanbul, zu einem SPIEGEL Gespräch aufsuchten (Seiten 132 bis 137). Der Raum ist einfach möbliert, an der Wand hängt ein von Papst Paul VI. signiertes, auf dem Tisch steht ein vom US-Präsidenten Johnson signiertes Bild, Athenagoras: "Demokratie und Bibel - das ist der American way of life. " Besucher Bausch berichtet: "Im Verlauf seiner Begrüssungsansprache
ernannte Athenagoras uns zunächst zu Mitarbeitern seines Stabes. Dann sagte er, wir könnten - vom Alter her - seine Enkel sein, und meinte schliesslich: ,Warum nicht wirklich? Er machte uns also auch noch zu seinen Enkeln, nahm
uns das Versprechen ab, mit Grossvater in Kontakt zu bleiben, ihn gelegentlich zu besuchen - mit meiner Frau, denn die gehöre ja nun auch zur Familie, und er müsse sie kennenlernen. " Schliesslich führte der herzliche Patriarch, dessen kirchenpolitisches Ziel es ist, das tausend Jahre währende Schisma zu Rom wenn nicht zu beenden, so doch zu mildern, seine Gäste zum Essen in einen Raum, den noch nie eine Frau betreten hat als Landesbischof Lilje vor Jahren Athenagoras besuchte, wurde für seine Frau in einem anderen Zimmer serviert. Den um den Tisch versammelten Bischöfen stellte Athenagoras die Gäste als "Vertreter des sehr angesehenen deutschen Nachrichten-Magazins DER SPIEGEL" vor - na bitte! Und erst nach dem Mokka durfte das SPIEGEL Gespräch beginnen, an dessen heikleren Stellen
der Patriarch die neuen verwandtschaftlichen Bindungen apostrophierte: "Wir sprechen jetzt frei. Der Grossvater spricht jetzt frei zu seinen Enkeln vom SPIEGEL. Als ihm die schriftliche Fassung des Gesprächs vorgelegt wurde, fügte er an dieser Stelle ein einziges Wort ein: Seine Enkel machte er zu seinen "lieben" Enkeln.
8 Mai 1967
Seitenanzahl: 194 Seiten
Sprache: Deutsch
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