Der Spiegel Nr.21 / 19 Mai 1965 - Deutschland und die Briten
Titelbild: Elizabeth in Bonn: Deutschland und die Briten
Original Inhaltsbeschreibung:
Das SPIEGEL-Verfahren ist noch nicht aus. Der 3 Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat sich die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Oberst i, G. Alfred Martin vorbehalten. Erst wenn auch Martin außer Verfolgung gesetzt wird, können wir ganz zufrieden sein.
Die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Conrad Ahlers und mich hat der 3. Senat abgelehnt. Was an der SPIEGEL-Affäre Substanz war, ist damit gerichtlich erledigt worden. Generalbundesanwalt Ludwig Martin hat erlebt, was vor ihm noch kein Chef einer obersten Anklagebehörde in Deutschland seit 1870 erfahren haben dürfte: Der Bundesgerichtshof lehnte es in einer vom Generalbundesanwalt selbst unterschriebenen Klagsache ab, das Hauptverfahren zu eröffnen und Hauptverhandlung anzuberaumen.
Einige Tatsachen in den beiden von der -Bundesanwaltschaft inkriminierten Artikeln seien möglicherweise Staatsgeheimnisse gewesen - der Senat legt sich da keineswegs fest. Jedenfalls sei Ahlers und mir nicht zu beweisen, daß wir damit gerechnet hätten, in den Artikeln Staatsgeheimnisse preiszugeben, zumal der Bundesnachrichtendienst auf zwei an ihn gerichtete bedeutsame Fragen, keine Sicherheitsbedenken geäußert hatte.
Der volle Wortlaut des Beschlusses liegt uns derzeit noch nicht vor. Wir können dazu nicht Stellung nehmen. Aber wir dürfen den Kontrast zu den amtlichen Auslassungen der sozusagen ersten Stunde hervorheben. Wenn der Bundesgerichtshof in zweieinhalb Jahren noch nicht, feststellen konnte, ob überhaupt Staatsgeheimnisse publiziert wurden, wird man den Vorwurf, wir hätten am, Landesverrat Geld verdient, kaum aufrechterhalten. Wir hatten keinen Abgrund von Landesverrat im Lande, sondern Zeitungen, in denen die militärpolitische Diskussion bestritten wurde.
Es war auch nicht der ernsteste Verdacht eines Landesverrats, der in, der Nachkriegsgeschichte bisher überhaupt entstanden ist (so Hermann Höcherl vor dem Bundestag), auch nicht der schwerste Verdachtsfall seit Bestehen der Bundesrepublik (so Regierungssprecher von Hase). Vielmehr wünschten einige Leute, es möge der schwerste Verdachtsfall sein. Das Gutachten aus dem Verteidigungsministerium sah die Sicherheit der Bundesrepublik in 37 Punkten des Artikels Bedingt abwehrbereit, zum Teil auf das schwerste, gefährdet.
War Conrad Ahlers der Typ des rasenden Reporters, der um jeden Preis auf Nachrichten Jagd macht, von denen er im Grunde nichts versteht (Bundesrichter Dr. Willms 1962)? Es scheint nicht so. Die Verteidigungs Verantwortlichen der drei westlichen Schutzmächte haben das nicht so gesehen, sonst hätten sie nicht mit Ahlers diskutiert. Und der Bundesgerichtshof stellt fest, Ahlers habe nicht sein gesamtes Wissen veröffentlicht und Teile der Endfassung des Artikels Bedingt abwehrbereit gegenüber den Entwürfen wesentlich verallgemeinert und abgeschwächt.
Welche Stimmung muß damals in Deutschland gewesen sein, wenn Winfried Martini im Bayrischen Rundfunk sagen konnte: Landesverrat ist eines der widerlichsten Verbrechen. Daher ist die Empörung über die Aktion der Bundesanwaltschaft nicht weniger widerlich.
Gerhard Ritter, dem namhaftesten unter den noch lebenden Senioren der Historiker-Zunft, trieb der SPIEGEL-Artikel die Zornesröte ins Gesicht. Er beklagte den Sensationshunger der Allzuvielen. Daß es sich hier um eine verantwortungslose Preisgabe höchst wichtiger militärischer Geheimnisse mitten im Kalten Krieg handelte, das zu erkennen bedurfte es wahrhaftig weder des militärischen noch des juristischen Sachverstandes.
Einer den Westen schädigenden und oft vom Osten zitierten Zeitschrift das Handwerk zu legen, war laut Welt am Sonntag das Ziel der Bundesanwälte. Christ und Welt sah richtig voraus, schon der Respekt vor der Bundesanwaltschaft verbiete es anzunehmen, diese werde Angst vor der eigenen Courage bekommen und die Pflöcke wieder zurückstekken.
Bild, wie immer schlicht und gradlinig, bekräftigte den Grundsatz, den Bild schon immer vertreten hat: Landesverrat hat nichts mit Pressefreiheit zu tun!
Noch einmal, welch eine Stimmung! Wir sind froh sagen zu können, daß unser Vertrauen in den Gerechtigkeitswillen des Bundesgerichtshofs nie geschwankt hat. Freilich, man hat uns gestützt, Sie und viele nicht am SPIEGEL Interessierte haben uns gestützt.
Auf den Kommentar des CDU Abgeordneten Max Güde bin ich neugierig. Wäre er Generalbundesanwalt geblieben, so hätte es vielleicht keine SPIEGEL-Affäre gegeben; so hätte er auch manch Befremdliches nicht von sich gegeben.
Der Prozeß gegen den SPIEGEL muß stattfinden, hat Güde am 20. März 1964 gesagt, damit die Justiz die einmal aufgeworfenen Fragen auch beantworten kann. Und: Der Prozeß wird, und das ist keine Prognose von mir, stattfinden. Dann wieder, im Oktober 1964: Eine Hauptverhandlung solle man nicht vor den Bundestagswahlen stattfinden lassen.
Was man unter dem SPIEGEL Prozeß verstanden hat, wird nicht stattfinden. Eine unabhängige Justiz hat vor den Bundestagswahlen damit Schluß gemacht.
- TITELGESCHICHTE Elizabeth II
- SPIEGEL-GESPRÄCH Mit dem CDU·MdB Professor Dr. Adolf Süsterhenn
- BONN:
SPIEGEL Affäre
Schröder - Interview:
Mit dem CSU-mdB Freiherr zu Guttenberg - Affären: Vialon
- Wertpapeire: Sechsprozenter
- Bundesländer:
Niedersachsen
Konkordat - Kulturpolitik: Saubere Leinwand
- Berlin: Mauer
- Sowjetzone: Wahlen
- Industrie: Du Pont
- Serie: Die Russen in Berlin 1945
- Studenten: Bildung
- Zweiter Weltkrieg: Vermisste
- Ernährung: Lebensmittel
- Rüstung: Sowjet-Raketen
- Frankreich: Minister
- Städte: Paris
- Belgien: Sozialisten
- Sport: Fußball
- Museen: Israel
- Theater: Waldmann
19 Mai 1965
Seitenanzahl: 142 Seiten
Sprache: Deutsch
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